2.6 Elektrifizierungsarbeiten
Die erforderlichen Arbeiten zur Umstellung einer Eisenbahnstrecke von Dampf- oder Dieselbetrieb auf elektrischen Betrieb, sind wesentlich umfangreicher, als der Laie zunächst annehmen würde. Die erforderlichen Maßnahmen lassen sich in zwei Gruppen einteilen:
1. Arbeiten, die für die Elektrifizierung unbedingt erforderlich sind;
2. Arbeiten, die nicht unbedingt notwendig sind, den wirtschaftlichen Erfolg der Elektrifizierung aber erhöhen. (247)
Zur Gruppe 1 gehört zunächst die Errichtung ortsfester Anlagen zur Stromversorgung. Darunter fallen:
Kraftwerke
Fernleitungen
Unterwerke
Fahrleitungen
Speiseleitungen
Schaltposten
Kuppelstellen
Die Anlagen müssen ein sinnvolles System bilden und während des elektrischen Bahnbetriebs erwartet und überwacht werden. Dies geschieht durch Fahrleitungsmeistereien und Fahrleitungskolonnen. Dazu kommt der Einbau von elektrischen Wagenheizungen und der Umbau von Lokomotivbehandlungs- und Wartungsanlagen. Besonders aufwendig können die Arbeiten zur Schaffung des erforderlichen Lichtraumprofils sein. (248) Die vorgeschriebene lichte Höhe über der Schienenoberkante steigt bei elektrischem Betrieb durch Stromabnehmer und Fahrdraht von 4,80 Meter auf 5,50 Meter. Dies bedeutet, dass sämtliche Bauwerke und Bahnanlagen auf den größeren Abstand gebracht werden müsse. Besonders bei Brücken und Tunneln sind erhebliche bauliche Änderungen erforderlich. Sie können bei Brücken durch Gleisabsenkungen oder Heben des Bauwerks bis zum völligen Neubau reichen. Bei Tunneln sind Gleisabsenkungen, Ausweitungen des Gewölbes, Aufschlitzen, Umfahrungen oder Neubau nach den jeweiligen örtlichen Gegebenheiten möglich. Um elektrische Überschläge zu vermeiden, muss in Tunneln zusätzlich das Gewölbe abgedichtet werden um die Bildung von Eiszapfen oder Wassertropfen in der Nähe des Fahrdrahtes zu verhindern. Im Bahnhofsbereich sind z. B. Signalbrücken, Hallen- und Bahnsteigdächer dem höheren Lichtraumprofil anzupassen. (249) Zu den unbedingt erforderlichen Arbeiten zählt auch die Verkabelung von Signal-, Fernmelde- und Starkstromanlagen im Streckenbereich. (250)
Die nicht unbedingt erforderlichen Baumaßnahmen der Gruppe 2 können ebenfalls einen ganz erheblichen Umfang erreichen. So sind unzureichende Güter- und Personenzugüberholungsgleise zu verlängern. (251) Um die höhere Geschwindigkeit der Elektrolokomotive auszunutzen, können Linienverbesserungen, also Begradigungen oder größere Kurvenradien ausgeführt werden. Dazu gehört die Vergrößerung des Gleisabstandes auf vier Meter.
Wenn schon die erheblichen Investitionen für die Elektrifizierung einer Strecke getätigt werden, fallen meisten noch eine Reihe weiterer Maßnahmen an, die das gesamte Umfeld der Gleisanlagen betreffen. Das kann von der Beseitigung der Kriegsschäden, dem Nachholen unterlassener Unterhaltungs- oder Erneuerungsarbeiten, der Hebung oder Verlängerung von Bahnsteigen, der Beseitigung von schienengleichen Übergängen bis hin zur Verbesserung des Signalsystems führen. Diese Bauvorhaben sind sinnvoller weise parallel zu der Streckenelektrifizierung durchzuführen. (252)
Bei einer großangelegten Netz-Elektrifizierung, wie es die Deutsche Bundesbahn beschlossen hatte, sind bei der Planung und Ausführung nicht nur Elektrotechniker sondern auch Verkehrsgeographen, Bauingenieure und Geologen erforderlich, wie aus der Aufzählung der Elektrifizierungsarbeiten leicht zu ersehen ist. (253)
Um den Bahnbetrieb auf einer elektrifizierten Strecke aufnehmen zu können, bedarf es natürlich noch der entsprechenden Triebfahrzeuge. 1952 veranschlagten Fachleute die Kostenanteile für Elektrifizierungsarbeiten und Elektrolokomotiven einer Eisenbahnstrecke hoher Leistung bei Einphasen-Wechselstrombetrieb 15 kV/16 2/3 Hz wie folgt (254):
Änderungsarbeiten
Allgemeine Kosten 4 %
Werkstätten-Änderung 2 – 4 %
Licht- und Kraftanlagen 1 – 2 %
Sicherungs- und Fernmeldeanlagen 4 – 7 %
Profilfreimachung 3 –6 %
Ortsfeste Anlagen
Stromversorgung 11- 17 %
Fernleitungen 2 – 4 %
Unterwerke 4 – 6 %
Fahrleitungsanlagen 9 – 12 %
Fahrzeuge
Elektrische Triebfahrzeuge 50 – 60 %
Je nach örtlichen Gegebenheiten kann der Aufwand für die einzelnen Arbeiten sehr unterschiedlich ausfallen. Führte die zu elektrifizierende Strecke z. B. durch dichtbesiedelte Gebiete mit vielen kreuzenden Verkehrswegen oder tunnelreiche Mittelgebirge, sind die Kosten der Profilfreimachung relativ hoch. Bei den Fahrleitungsanlagen können ungünstige Bodenverhältnisse die Arbeiten für die Mastgründung erheblich verteuern. (255)
2.7 Ausbau des elektrifizierten Grundnetzes
2.7.1 Anfänge bis Ende 1953
Nachdem im Frühjahr 1950 der Plan für die zukünftige Elektrifizierung der Deutschen Bundesbahn festgelegt war, gingen die beteiligten Dienststellen daran, die Umstellung der ersten Strecken vorzubereiten. In Bayern hatte der chronische Kohlenmangel schon kurz nach Kriegsende zu Überlegungen geführt, die Strecke Aschaffenburg – Nürnberg – Regensburg – Passau auf elektrischen Betrieb umzustellen. Finanzierungsschwierigkeiten und die Kapazität der Elektroindustrie ließen zunächst nur einen Teilausbau zu. Dafür eignete sich besonders die Verbindung Nürnberg – Regensburg, wo bei der Überwindung des Fränkischen Jura die Dampflokomotiven an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit stießen. Baubeginn der genannten Teilstrecke war bereits der 20.06.1948 (Währungsreform). Auch in Baden-Württemberg gingen schon vor dem Elektrifizierungsplan von 1950 einige kurze Strecken unter Draht. (256)
Bis 1954 wuchs das Netz aber nur sehr langsam. Für den Gesamtplan der Deutschen Bundesbahn waren davon neben der Strecke Nürnberg – Regensburg noch die Verbindung Stuttgart – Mühlacker wichtig. (257) Von 1949 bis Ende 1953 war das elektrisch betriebene Netz um ca. 200 Kilometer auf etwa 1800 Strecken-Kilometer angewachsen. (258) Im Schnitt konnten so noch nicht einmal 50 Kilometer jährlich mit einem Fahrdraht überspannt werden. Den geringen betrieblichen Fortschritt standen aber umfangreiche Planungen gegenüber. Es wurden die fünf schon erwähnten Vorserienlokomotiven der Baureihe E 10 im Dezember 1950 bei der Industrie bestellt, die zwischen August 1952 und März 1953 den Probebetrieb aufnahmen. Auch an einigen Altbaulokomotiven E 44 und E 94 wurden Versuche mit neuen Antrieben, Wendezug- und Hochspannungssteuerungen durchgeführt. Da bis zur Auslieferung der ersten Serienlokomotiven der E 10 noch einige Zeit vergehen würde, entschloss sich die Bundesbahn im Jahr 1952, den steigenden Bedarf an elektrischen Triebfahrzeugen noch mit Nachbestellungen der alten Baureihen zu befriedigen. Insgesamt wurden davon 33 Stück bestellt. (259) 1953 beschaffte sich die Deutsche Bundesbahn sogar Altbau-Lokomotiven aus der Deutschen Demokratischen Republik, um ihren Fahrzeugbedarf zu decken.
Neben den Vorbereitungen und Versuchen mit neuen elektrischen Lokomotiven gingen auch die Plan- und Baumaßnahmen für den Streckenausbau voran.
2.7.2 1954 bis Ende 1961
Das Jahr 1954 brachte mit 139,6 neuen Kilometern elektrisch betriebener Strecken einen ersten fühlbaren Anstieg der Elektrifizierung, zumal sich weitere 500 Kilometer in der Umstellung und 420 Kilometer in der Genehmigungsphase befanden. Die Rationalisierung des Zugbetriebs machte mit dem Übergang von der Planungs- zur Bauphase erste Fortschritte. Von Nürnberg nach Würzburg (94,5 km) und von Mühlacker nach Bruchsal (32,9 km) strebten die Bautruppe auf den Raum Frankfurt zu. Die Umstellungsarbeiten fanden in deren weiteren Streckenverlauf sowie im Ruhrgebiet und zwischen Basel und Karlsruhe statt. Genehmigt und damit in der Bauphase befanden sich jetzt auch die linke Rheinstrecke von Ludwigshafen über Mainz bis Remagen mit einer Streckenlänge von 219,2 Kilometern. Zwischen den sich entwickelnden Netzen im Ruhrgebiet und Süddeutschland sollte entsprechend des Fernstreckenelektrifizierungsplanes die linke Rheinstrecke die erste Verbindung herstellen. Für die Strecke Remagen – Köln – Düsseldorf (105,5 km) fehlten der Bundesbahn noch Kredite, da sich die Finanzierungsfragen zwischen Bund und Ländern, in diesem Fall Nordrhein-Westfalen, oft schwierig gestalteten. Einen wichtigen Schritt nach vorne gab es im Bereich der elektrischen Triebfahrzeuge. Zum Jahreswechsel 1954/55 bestellte die Deutschen Bundesbahn 200 der neuen Einheitslokomotiven bei der Industrie.
Parallel zur Streckenelektrifizierung musste die Bahnstromversorgung gesichert werden. 1954 ging ein Turbosatz von 15 MW im Großkraftwerk Mannheim in Betrieb, bei dem erstmalig ein Bahnstrom- und ein Drehstromgenerator von einer Dampfturbine angetrieben wurden. Der Kraftschluss der beiden Generatoren erfolgte durch ein Zahnraduntersetzungsgetriebe und eine Flüssigkeitskupplung. Der Fortschritt in der Starkstromtechnik, speziell bei 16 2/3 Hz Generatoren und Umformern führte zu Bahnstrompreisen ähnlich der Landesversorgung. (260)
1955 konnte der 2000. elektrifizierte Streckenkilometer gefeiert werden. Mit einer Zunahme von 130,6 Kilometern erzielte die Bundesbahn ein ähnliches Ergebnis wie 1954. Auf dem elektrisch betriebenen Streckenanteil von 6,8 Prozent des Gesamtnetzes leisteten die elektrischen Triebfahrzeuge 11 Prozent der gesamten Fahrzeugkilometer. Wichtigste Erweiterungen waren die Strecken Bruchsal – Heidelberg (32,5 km) und Efringen – Freiburg (49,9 km). In Bau waren 802 und geplant weitere 456,8 Streckenkilometer. Für die Bahnstromversorgung wurden sechs Maschinensätze mit bis zu 25 MW Leistung in Auftrag gegeben. Die Zahl der bestellten Elektrolokomotiven konnte auf 250 Stück erhöht werden. (261)
1956 gingen nur 94,2 Streckenkilometer in den elektrischen Betrieb über, wobei den größten Anteil die 62,8 Kilometer von Freiburg nach Offenbach hatten. In der Umstellung befanden sich dagegen jetzt 1181,7 Kilometer.
Große Fortschritte konnte in der Bahnstromversorgung und im Fahrzeugbau gemacht werden. Parallel zu den in Bau befindlichen Strecken entstanden 2 Umformwerke, 14 Unterwerke, eine 110 kV-Schaltstelle und Fernleitungsabschnitte. Über 200 Elektrolokomotiven gingen in den Werkhallen der Industrie ihrer Fertigstellung entgegen. (262)
Inzwischen war der Gesamtplan der Elektrifizierung aufgestockt worden. Über die ursprünglichen Eckpunkte Osnabrück, Hamm, Gießen und Göttingen hinaus sollten die Hauptstrecken der norddeutschen Tiefebene bis Hamburg und Bremen ebenfalls unter Draht genommen werden. (263)
Im Vergleich zum westeuropäischen Ausland war das in der Bundesrepublik elektrifizierte Streckennetz noch immer klein. Von den insgesamt 30.297 Streckenkilometern waren 2.150 Kilometer mit Elektrolokomotiven befahrbar, was einem Anteil von 7,1 Prozent entsprach. In der Schweiz waren 1955 schon 96,5 Prozent, in Schweden 50,1 Prozent und in den Niederlanden 42 Prozent der Gesamtstrecken elektrifiziert. (264)
1957 gab es die erste deutliche Steigerung im Tempo der Elektrisierung. Ab sommerfahrplan des Jahres gingen 464,6 Streckenkilometer in Betrieb. Darunter befanden sich einige besonders wichtige Streckenabschnitte. Die Fertigstellung der Verbindung Karlsruhe – Heidelberg – Darmstadt – Frankfurt brachte den Zusammenschluss des bayrischen mit dem badischen netz. Damit wurden Zugläufe von Frankfurt bis Basel (340 km) und Frankfurt – Stuttgart – München – Salzburg (über 600 km) möglich.
Am 2. Juni 1957 konnte endlich der elektrische Inselbetrieb im Ruhrgebiet auf der Strecke Hamm – Dortmund – Düsseldorf (128,2 km) aufgenommen werden. (265) 1950 waren im Elektrifizierungsplan 300 Streckenkilometer in Nordrhein-Westfalen vorgesehen, die in 4 Jahren fertig sein sollten. (266) Im Zeitplan lag die Deutsche Bundesbahn durch den späten Beginn der Elektrifizierungsarbeiten zurück.
Seit 1945 waren über 1000 Kilometer elektrifiziert worden; der Anteil am Gesamtnetz auf 8,5 Prozent gewachsen. 1957 hatte die Deutsche Bundesbahn im Rahmen des Elektrifizierungsprogramms annähernd eine Milliarde DM ausgegeben. Mit 172 Einheitslokomotiven konnte der Gesamtbestand um mehr als 25 Prozent gesteigert werden. Der Lokomotivbedarf nach den umfangreichen Betriebseröffnungen konnte damit zeitgleich gedeckt werden. Die Erfolge wurden leider etwas getrübt, denn die Finanzierung weiterer Linien machte keine Fortschritte, so dass nur noch 826,3 Kilometer in Bau und 783,1 Kilometer in der Planungsphase waren. (267) Dabei sollte die Deutsche Bundesbahn inzwischen ihr elektrisch betriebenes Netz statt um 4.600 Kilometer des ersten Elektrifizierungsplanes um rund 6.600 Kilometer anwachsen lassen. (268)
1958 konnte der Rekord des Vorjahres (464,6 km) der Streckenelektrifizierung mit 554,8 Kilometern noch überboten werden. Mit 3.182 Kilometern betrug Ende 1958 der Anteil des elektrisch betriebenen Netzes 10,3 Prozent und hatte sich damit seit 1945 mehr als verdoppelt. Besonders wichtig war die Schließung der letzten Elektrifizierungslücke auf der Strecke Nürnberg – Frankfurt, die es erlaubte, die Güterzuglokomotive E 50 im Spessart voll auszulasten. Zwischen dem Ruhrgebiet und dem süddeutschen Netz konnte die linke Rheinstrecke von Mainz bis Köln eröffnet werden. Der Elektrolokomotivenbestand erhöhte sich um 28 Prozent auf 850 Stück, die nach der Inbetriebnahme der stark belasteten Rheinstrecke zusammen 30 Prozent der gesamten Förderleistung erbrachten. Den 186 ausgelieferten Elektrolokomotiven standen, ähnlich wie bei den Streckenbauaufträgen im Jahr 1957, keine Neubestellungen gegenüber. Die großen Hersteller AEG, BBC und Siemens konnten 1958 jeweils ihre hunderste Einheitslokomotive ausliefern, doch war die Auslastung ihrer Fertigungskapazitäten in der Zukunft nicht gesichert. Nur noch 270 Kilometer befanden sich Ende 1958 in der Umstellung auf elektrischen Betrieb. Weitere Baumaßnahmen scheiterten an Finanzierungsschwierigkeiten. (269)
1958 veranschlagte die Deutsche Bundesbahn für 3.600 Kilometer neu zu elektrifizierender Strecken die Summe von 3,6 Milliarden DM. Damals dachten die Planer an die rechte Rheinstrecke, die Köln-Mindener Bahn und die Nord-Süd-Strecke von Gemünden über Hannover bis nach Hamburg. In jener Zeit lief die erste Elektrifizierungsausbaustufe langsam aus. Die Finanzierung weiterer Vorhaben war nicht gesichert, obwohl durch steigende Kohlepreise die Elektrifizierung an Wirtschaftlichkeit gewann. Die Bundesbahn erhoffte sich durch eine großzügige Weiterelektrifizierung auch eine Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Lage. (270)
Das Jahr 1959 brachte zwar keine großen Fortschritte bezogen auf das Gesamtnetz, doch wurde ein wichtiges Ziel des Fernstreckenelektrifizierungsplanes von 1950 endlich erreicht. Im Mai 1959 wurde zwischen Köln und Düsseldorf die letzte Lücke der Rheintalstrecke geschlossen. Eine Haupteisenbahnlinie von nationaler und internationaler Bedeutung war damit auf einer Länge von ca. 700 Kilometern von Duisburg bis Basel durchgehend elektrifiziert. Vom Ruhrgebiet aus war es möglich, bis nach Sizilien mit elektrischen Lokomotiven zu fahren. Die große Bedeutung der Rheinstrecke unterstreicht die finanzielle Unterstützung der Schweiz für die Elektrifizierung des Abschnitts Basel – Karlsruhe, für den sie einen Kredit von 140 Millionen Franken zur Verfügung stellte. (271)
1960 konnten etwa 320 Kilometer der Bundesbahnstrecken elektrifiziert werden. Durch fehlende Neubestellungen lief die Lokomotivbeschaffung noch langsamer als in den Vorjahren. Dennoch wuchs die Gesamtzahl auf über 1000 Stück. In diesem Jahr fiel die Umstellung der Höllental- und Drei-Seen-Bahn im Schwarzwald vom 50 Hz System auf das 16 2/3 Hz Normalsystem der Bundesbahn. Das Betreiben der Strecke mit der Sonderfrequenz, die entsprechende Lokomotiven und den Zwei-System-Bahnhof Freiburg erforderte, war auf Dauer unökonomisch. Die Umstellung war relativ einfach. Es musste lediglich ein 50 Hz Unterwerk stillgelegt und ein neuer Schaltposten eingebaut werden. Danach wurden die alten Fahrleitungen mit der 16 2/3 Hz Normalfrequenz und Spannung versorgt. Die wenigen elektrischen 50 Hz Lokomotiven baute die Bundesbahn um oder musterte sie aus. (272)
Nachdem die Bauaufträge der ersten Elektrifizierungsstufe weitgehend abgeschlossen waren, hoffte die Bundesbahn die durch Strecken in Norddeutschland erweiterte zweite Stufe bald finanziell absichern zu können. Mit der öffentlichen Diskussion um die Gesundung der Deutschen Bundesbahn und das „Brand-Gutachten“ zeichnete sich eine Belebung der Elektrifizierungsmaßnahmen durch Bund und Länder ab. (273)
In Erwartung des weiteren Netzausbaus konnte die Bundesbahn 1960 den bisher größten Auftrag an elektrischen Einheitslokomotiven an die deutsche Industrie vergeben. (274)
Mit 310 Kilometern fiel der Ausbau des elektrischen Netzes 1961 ähnlich hoch aus wie in den Vorjahren. Die neuen Streckenabschnitte waren vorwiegend Teile der rechten Rheinstrecke (Frankfurt – Oberlahnstein) und der Nord-Süd-Strecke (Hanau – Fulda), die das elektrische Gesamtnetz auf über 4.000 Kilometer ansteigen ließen.
Das Jahr 1961 war für die Elektrifizierung der Deutschen Bundesbahn besonders wichtig, weil die Weichen für eine weitere Ausbauphase gestellt werden konnten. Der erste und zweite Teil der im Fernstreckenelektrifizierungsplan vorgeschlagenen Linien waren inzwischen fertiggestellt oder in der Umstellung auf elektrischen Betrieb. Durch mehrere Finanzierungsabkommen mit den Bundesländern konnte die bisher umfangreichsten Bauaufträge von der Bundesbahn vergeben werden. Sie umfassten 1.500 Streckenkilometer, von denen der weitaus größte Teil die Nord-Süd-Strecke von Fulda bis Hamburg und Bremerhaven ausmachte. (275)
2.7.3 1962 bis Anfang der 70er Jahre
Nach Beendigung des ersten Fernstreckenelektrifizierungsplanes und einer Stagnation der Baufortschritte bei etwa 300 Streckenkilometer jährlich, kam es 1962 wieder zu einer Beschleunigung des Entwicklung. Mit 429 Kilometern konnte gegenüber den Vorjahren erheblich mehr Strecken auf elektrischen Betrieb umgestellt werden. Mit der Vollelektrifizierung der rechten Rheintalstrecke stieg die Leistungsfähigkeit der Eisenbahn in Nord-Süd-Richtung beträchtlich an. Bei Dauerniedrigwasser des Rheins musste der Durchsatz der beiden Strecken am 21.12.1962 auf 576 Züge erhöht werden, was etwa 24 Fahrten pro Stunde entspricht. Die Zahl der neuen Elektrolokomotiven erhöhte sich gegenüber dem Vorjahr um 183 Stück. (276) In einem Bereich schaffte der Strukturwandel in der Zugförderung gegenüber der alten Dampfloktraktion den ersten Durchbruch. Dazu schrieb Bundesbahndirektor Alfred Kniffler: „In die Annalen der Deutschen Bundesbahn wird das Jahr 1962 als ein Markstein eingehen. Stiegen doch in Auswirkung der außerordentlichen Anstrengungen zur Rationalisierung auf allen Gebieten des Eisenbahnwesens die mit elektrischen und mit Dieseltriebfahrzeugen gefahrenen Zug-km im Verlauf des Jahres – und zwar ab Monat Juli – auf über 50 % der Laufleistungen aller Triebfahrzeuge an. Die Dampflokomotive wurde hier somit erstmalig – und damit für immer – überrundet. Dabei entfielen 28,6 % der Zug-km auf elektrische Triebfahrzeuge.“ (277)
1963 brachte eine ganze Reihe von Höhepunkten im Rahmen der Elektrifizierung der Bundesbahn. 520 Streckenkilometer konnten mit Fahrdrähten überspannt werden, die das Gesamtnetz auf über 5.000 Kilometer ansteigen ließen. Die Nord-Süd-Strecke, deren 382 Kilometer lange neue Streckenabschnitte besonders stark belastet war, ging bis Hannover in den elektrischen Betrieb über. Die Umstellung bewirkte, dass die Dampflokomotiven auch im Anteil an den Bruttotonnenkilometern knapp unter die 50 Prozent-Marke gedrückt wurden. Für die elektrische Zugförderung standen der Bundesbahn 220 neue Lokomotiven zur Verfügung. Damit fuhren über tausend Einheitslokomotiven der Reihe E 10, E 40, E 41 und E 50 über die Strecken.
Im Jahre 1963 fanden schließlich auch die schon behandelten Schnellfahrversuche mit Geschwindigkeiten bis 200 km/h statt. (278)
Der vorjährige Rekord bei den Elektrifizierungsarbeiten konnte 1964 auf 611 Kilometer umgestellter Strecken gesteigert werden. Mit der Verbindung Ludwigshafen – Kaiserslautern erhielt das bis dahin bestehende Inselnetz im Saarland Anschluss an das Gesamtnetz. 200 Streckenkilometer kamen allein in Nordrhein-Westfalen neu unter Draht. Über Hannover hinaus konnte elektrisch bis Bremen gefahren werden. Einen neuen Rekord stellten auch die Hersteller von Elektrolokomotiven auf, indem sie 226 Stück an die Bundesbahn auslieferten. In der Bahnstromversorgung gingen die ersten drei 50 MW-Turbosätze in Betrieb.
Trotz aller beachtlichen Erfolge bei den Maßnahmen zur Rationalisierung der Zugförderung musste die Dampflok noch 37 Prozent der gesamten Zugkilometer und 45 Prozent der Brutto-Tonnen-Kilometer bestreiten. Mit diesem Werten lag die Deutsche Bundesbahn hinter den übrigen Bahnverwaltungen in Westeuropa, vor allem denen der EWG noch immer zurück. In der Schweiz, den Niederlanden und Luxemburg war der Strukturwandel in der Zugförderung abgeschlossen. Dort bewältigten die Diesel- und Elektrolokomotiven schon 100 Prozent des Schienenverkehrs. (279) Diesen Rückstand wollte die Deutsche Bundesbahn aufholen. Einen großen Schritt nach vorn brachte im Jahre 1965 die 830 neu elektrifizierten Streckenkilometer. Der neue Rekord – er wurde nicht mehr überboten – brachte das elektrische Netz auf 6.473 Kilometer und einen Anteil von 21,2 Prozent am Gesamtnetz. Die Nord-Süd-Strecke bis Hamburg und die Ruhr-Sieg-Strecke bis Frankfurt waren fertiggestellt worden. Damit standen der Deutschen Bundesbahn alle vier wichtigen Nord-Süd-Verbindungen für den elektrischen Betrieb zur Verfügung. (280)
Die Wirtschaftskrise in der Bundesrepublik wirkte sich auch auf die Elektrifizierung aus, was sich schon 1965 in Finanzierungsschwierigkeiten bemerkbar machte. Sie führte 1966 noch nicht zu Verzögerungen im Streckenausbau, es wurden planmäßig 525 Streckenkilometer elektrifiziert, doch für den Rest der schwer belasteten Hauptstrecken kam es zu Auftragsverzögerungen. Dies galt für die Strecken Osnabrück – Bremen – Hamburg und Hamm – Löhne – Wunstorf. Im Bereich der Bahnstromversorgung ging der Weg zu immer leistungsfähigeren Turbogeneratoren weiter. Die erste 100 MW-Maschine wurde in Auftrag gegeben. (281)
Die verzögert erteilten Bauaufträge spiegelten sich in der Zahl von nur 260 neuen Streckenkilometern für das Jahr 1967 wieder. Durch ein Sonderinvestitionsprogramm der Bundesregierung bekam die Bundesbahn zusätzliche Finanzmittel, mit deren Hilfe wichtige Bauaufträge über 400 Streckenkilometer vergeben werden konnten. Auf dem jetzt über 7.000 Kilometer betragenden elektrischen Netz erreichten die Elektrolokomotiven einen Anteil von 60 Prozent bezogen auf die Bruttotonnenkilometer. Für das Jahr 1968 rechnete die Bundesbahn noch einmal mit einer erheblichen Netzerweiterung, die im Norden die letzten elektrischen Lücken der Hauptstrecken schließen sollte. (282)
Tatsächlich konnte mit 800 Kilometern Bauleistung noch einmal ein ähnlich gutes Ergebnis werden wie 1965, dem Rekordjahr. Damit wuchs das elektrifizierte Netz auf über 8.000 Kilometer an. Mit der Umstellung der Strecke Osnabrück – Bremen – Hamburg und Hamm – Löhne – Wunstorf – (Hannover) war das Grundnetz der Bundesbahn geschlossen. 27 Prozent aller Strecken waren mit Fahrdrähten überspannt, auf denen 70 Prozent der gesamten Bruttotonnenkilometer elektrisch befördert wurden. Nur noch 73 neue Elektrolokomotiven stellte die Bundesbahn 1968 in Dienst, wobei die rückläufige Tendenz dem zukünftig langsamen Elektrifizierungstempo entsprach. (283)
1969 war mit Abstand das schwächste Jahr in der Umstellung auf die elektrische Traktion mit nur 74 Streckenkilometern. Anfang der 7oer Jahre legte die Bundesbahn das Elektrifizierungstempo auf 300 bis 500 Streckenkilometer jährlich fest. Die Elektrifizierung verlief damit in ruhigeren Bahnen. 1970 waren die wesentlichen Ziele der Bundesbahn in Bezug auf den Strukturwandel in der Zugförderung erreicht. Annähernd 9.000 Kilometer und damit 30 Prozent des gesamten Streckennetzes waren elektrifiziert, worauf die Elektrolokomotiven 73,3 Prozent aller Förderleistungen erbrachten. Den Rest teilten sich Diesellokomotiven (16 %) und Dampfloks (10,7 %). (284)
Der erste Elektrifizierungsplan von 1950 mit 4.600 Kilometern neuer elektrischer Bahnen war bereits 1965 erreicht. Der in den 50er Jahren um 2.000 Kilometer aufgestockte Gesamtplan konnte 1970 erfüllt werden. Die Bauaufträge für die vier Einheitslokomotiven liefen Anfang der 70er Jahre aus. Dafür tauchten die ersten Baureihen der neuen Generation wie z. B. die E 103 bei der Deutschen Bundesbahn auf oder waren in der Planung. Für den Betrieb des elektrischen Netzes stand der Bundesbahn 1970 eine installierte Bahnstromleistung von 1.090 MW zur Verfügung. Davon entfielen 12 Prozent auf Wasserkraftwerke, 63 Prozent auf Dampfkraftwerke und 25 Prozent auf Umformer. (285)